Tobias Scheidacker
Das gescheiterte „Reformmodell“ der EKBO im Kirchenkreis Wittstock-Ruppin
Der "Kirchenanwalt" über christliche Überzeugung, Ausgrenzung, missbrauchte Macht und Thesen.
Auszug, Seite 1-2
Vier Jahrzehnte deutsche Teilung haben unterschiedliche Kirchen in Ost und West hervorgebracht. Aufgewachsen bin ich im Osten, als Kind in einer Pfarrfamilie. Kirche war meine Heimat - im Sinne eines echten Miteinanders und einer im Kontrast zur staatlichen Vorgabe anderen Haltung gegenüber den wichtigen Dingen des Lebens. In meiner Kindheitskirche gab es keine Denkverbote und keine für mich spürbaren Hierarchien. Wenn mein Vater mit dem Bischof sprach oder dem Superintendenten, nannten sie sich „Bruder“ und meinten das ernst. Man vertraute einander, auch wenn es nicht immer gerechtfertigt war (wie mein Vater nach Einsicht in seine Stasi-Unterlagen später feststellte). Auch ohne das Wissen um die Ausmaße staatlicher Verfolgung wussten wir von ihr, als Familie und als Pfarrstelle. Ich wurde in der Schule systematisch ausgegrenzt, etwa wenn die Klassenfahrt als „Pionierreise“ deklariert wurde, damit ich nicht mitkonnte. Das Signal an die anderen Kinder und Eltern war: haltet euch fern von der Kirche, sonst habt ihr ebenfalls Nachteile. Wer das als Kind lernte, verhielt sich in der Regel auch so als Erwachsener. Das prägte die DDR-Kirche, wir waren nicht nur eine Religionsgemeinschaft, sondern eine verfolgte Religionsgemeinschaft. Welch eine Erlösung war die Wende! Sie versprach uns alle Freiheiten: physisch (keine Mauer mehr), intellektuell (denken und sagen, was man denkt), gesellschaftlich (Demokratie!) und persönlich (Abitur für ein unangepasstes Pfarrerskind, kurz zuvor undenkbar). Wir dachten, dass die Werte, die für uns SO wichtig waren und die wir uns SO hart erkämpft hatten, für die Menschen im Westen genauso wichtig wären und von diesen ebenso geschätzt würden wie von uns. Vielleicht studierte ich deshalb später Jura - die Lehre des Rechts und der Gerechtigkeit. Was wir nicht bedachten, war, dass sich die Westkirche ganz anders entwickelt und ein ganz anderes Selbstverständnis hatte. Sie wurde nicht vom Staat verfolgt, sondern von ihm geschätzt. Die zur Wende regierende Partei trug das „christlich“ in ihrem Namen. Der jahrzehntelange tägliche Kampf um die Bewahrung von Werten hatte nur bei uns stattgefunden, nur uns so sehr geprägt. Nach der Wende hatten wir also ein gemeinsames Vokabular, aber ganz andere Vorstellungen davon, was „Kirche“ ist. Durch die gemeinsame Sprache fiel das nicht so schnell auf. Jedenfalls erkläre ich mir so rückblickend, was in den letzten 8 Jahren in meiner Kirche geschah. Ein Bischof Huber, der aus dem Westen kam, und ein Superintendent Lohmann, der aus dem Westen kam, und ein Westberliner Konsistorialpräsident Seelemann aus Hamburg mit seinem ganzen Apparat wickelten meine Kirche bei uns im ländlichen Osten nämlich weitgehend ab. In dem Bemühen um Strukturänderungen bedrängten sie Gemeinden, die ihre Freiheit hart erkämpft hatten, und schafften sich Personen vom Hals, die ihrem persönlichen Machtanspruch im Weg standen, unter anderem meinen Vater. Und daneben auch die Kirchengemeinden. Dabei wurde gelogen und denunziert, Macht missbraucht, in Privaträume eingebrochen, getäuscht und betrogen, der letzte Wille Sterbender ignoriert und Stillschweigen der Betroffenen eingefordert — ein echter Krimi. Nur ist es eben nicht mehr im Ansatz das, was ich als eine Kirche betrachte. Intrigen, Karriere- und Machtpolitik, das ist in meinen Augen eher eine Anti-Kirche. Deren Wirken, so wie ich es erlebt habe, möchte ich weder mit meinem Namen oder meiner Person noch mit Geld unterstützen. Im Gegenteil fühle ich mich aufgrund meiner christlichen Überzeugungen verpflichtet, dem Widerstand zu leisten. Deshalb bin ich im Zuge der hier geschilderten Vorgänge aus der Kirche ausgetreten und habe auch meine drei Kinder nicht taufen lassen. Die Werte, die ich ihnen vermitteln möchte, finden sie dort nämlich nicht. Eine tiefere Erosion der Werte einer Religionsgemeinschaft als diese, dass ihre eigenen Kinder sich von ihr aus Überzeugung abwenden, kann ich mir nicht vorstellen.
Das vollständige Dokument befindet sich hier.
Thesen stehen auf den Seiten 22 und 23.