In dem Rechtsstreit 64 S 265/21
Nixdorf ./. Ev. Luisen-Kirchengemeinde

hat das Landgericht Berlin - Zivilkammer 64 - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Tegeder, den Richter am Landgericht Dr. Babucke und die Richterin am Landgericht Dr. Harrack aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2022 für Recht erkannt:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 08.09.2021, Az. 211 C 45/21, abgeändert: Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2. Die (Dritt-)Widerklage wird abgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 61.335,52 € festgesetzt.

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Aus dem Urteil 
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"Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30.11.2022 hat die für die Klägerin/Widerbeklagte zu 2) sowie für die Drittwiderbeklagte/Widerbeklagte zu 1) erschienene Rechtsanwältin keine Anträge gestellt.
Mangels wirksamer Klageerhebung durch die Evangelische Luisen Kirchengemeinde ist sie lediglich als vermeintliche Klägerin oder „Schein-Klägerin“ anzusehen. Sie wird im Rubrum gleichwohl weiterhin als Klägerin und Widerbeklagte zu 2) geführt.
Die Klage ist unzulässig. Sie ist - mangels Prozessrechtsverhältnisses zwischen den Parteien des Mietvertrags - ungeachtet der Säumnissituation durch kontradiktorisches unechtes Versäumnisurteil als unzulässig abzuweisen (vgl. zum unechten Versäumnisurteil Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 330 Versäumnisurteil gegen den Kläger, Rn. 7).
[...]
Die im Rahmen der Berufung erhobene Widerklage gegen die als Klägerin/Widerbeklagte zu 2) geführte Evangelische Luisen Kirchengemeinde und die Drittwiderklage gegen die Drittwiderbeklagte/Widerbeklagte zu 1) sind zulässig, aber unbegründet.
Die Drittwiderklage und die Widerklage sind zulässig.
Für eine Drittwiderklage im Berufungsverfahren bedarf es der Zustimmung des Drittwiderbeklagten, es sei denn, er verweigert sie rechtsmissbräuchlich (vgl. Musielak/Voit/Heinrich, 19. Aufl. 2022, ZPO § 33 Rn. 28). Vorliegend hat die Drittwiderbeklagte/Widerbeklagte zu 1) zwar angekündigt, die Zustimmung zu verweigern, doch wäre die Verweigerung als rechtsmissbräuchlich anzusehen. 
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH wird ein solcher Missbrauch im Allgemeinen dann zu bejahen sein, wenn ein schutzwürdiges Interesse des neuen Beklagten an der Weigerung nicht anzuerkennen und ihm nach der ganzen Sachlage zuzumuten ist, in den Rechtsstreit einzutreten, obgleich dieser bereits in der Berufungsinstanz schwebt. 
Weiter ist die Widerklage gegen die Klägerin zulässig.
Zwar fehlt es auch hinsichtlich der Klägerin an der Zustimmung zur Widerklage im Sinne von § 533 Nr. 1 Alt. 1 ZPO. Doch ist die Widerklage sachdienlich im Sinne des § 533 Nr. 1 Alt. 2 ZPO. Die Zulassung der Widerklage führt zu einer sachgemäßen und endgültigen Erledigung des Streitstoffs im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits.
Die mit der Widerklage geltend gemachten Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche werden damit begründet, dass sie erst durch den Prozess entstanden seien. Auch gelten die Ausführungen zur Rechtsmissbräuchlichkeit einer verweigerten Zustimmung für die Klägerin/Widerbeklagte zu 1) entsprechend. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass sich die Klägerin/Widerbeklagte zu 2) das Handeln der Drittwiderbeklagten/Widerbeklagten zu 1) nach §§ 89, 31 BGB zurechnen lassen muss. Weiter hat die Klägerin/Widerbeklagte zu 2) sich das Handeln der Drittwiderbeklagten/Widerbeklagten zu 1) in Form der Kündigung durch die beauftragten Prozessbevollmächtigten und des nachfolgenden Räumungs-Rechtsstreits durch Unterlassen zu eigen gemacht und gebilligt, indem sie sich trotz der ihr über die Drittwiderbeklagte/Widerbeklagte zu 1) zuzurechnende Kenntnis des Rechtsstreits weder von diesem distanziert noch Schritte unternommen hat, das Verfahren zu beenden.
Auch besteht hinsichtlich des (Dritt-)Widerklageantrags zu 1. a) das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die Beklagte hat – nach Hinweis der Kammer vom 12.10.2022 - dargetan, dass der von ihr geltend gemachte materiell rechtliche Erstattungsanspruch über den prozessualen Erstattungsanspruch nach § 91 ZPO hinausgeht, sodass ein Nebeneinander beider Ansprüche in Betracht kommt (vgl. BGH, NJW 2011, 2368 Rn. 10, beck-online).
Die Drittwiderklage und die Widerklage sind jedoch unbegründet.
[...]
Dabei sind die Kosten im Zusammenhang mit der unzulässigen Klage den Prozessbevollmächtigten der Klägerin/Widerbeklagten zu 2) als vollmachtlose Vertreter aufzuerlegen (vgl. NK-GK/Joachim Volpert/Peter Fölsch/Jürgen Köpf, 3. Aufl. 2021, GKG § 22 Rn. 24)."

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Zulassen der Revision 
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Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1, 2 ZPO zuzulassen, da die Frage der wirksamen Vollmachtserteilung durch eine Kirchengemeinde und die Frage der Schadensersatzhaftung bei Ausspruch einer mangels formell ordnungsgemäßer Vollmacht unwirksamen Kündigung grundsätzliche Bedeutung haben.

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1. interner Kommentar 
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"Sehr geehrter Herr Kollege Dr. T.,
ich komme zurück auf die Räumungsklage gegen unsere Mandantin [...]. Gestern ist das Urteil des Landgerichts Berlin (ZK 64) verkündet worden.
Nachdem die Kammer noch mit Hinweisbeschluss vom 10. März 2022 die Berufung als offensichtlich aussichtslos beurteilte (trotz bereits damals zutreffenden Vortrages unserer Mandantin), hat sie nach Übernahme der Prozessvertretung durch GQL Rechtsanwälte mit Hinweisbeschluss vom 15. August 2022 eine „180-Grad-Kehrtwende“ vollzogen und die Räumungsklage als unzulässig angesehen. Dies hat sie mit dem gestern verkündeten Urteil bestätigt. Die durch uns zweitinstanzlich erhobene Schadensersatz-Widerklage gegen Pfarrerin und Kirchengemeinde, die die Kammer anfänglich noch als unzulässig beurteilte, hat sie mit dem gestern verkündeten Endurteil als zulässig, jedoch unbegründet angesehen.
Die Revision wurde zugelassen. Unsere Mandantin möchte Revision gegen die Abweisung ihrer Widerklage als unbegründet einlegen.
Nach meiner vorläufigen Einschätzung ist nun der Fall eingetreten, den wir bereits in unserem – letztlich erfolglosen – Ablehnungsgesuch besorgt hatten: Die Kammer hat sich davor gedrückt, die mit der Widerklage verbundenen Fragen der Schadenszurechnung „anzufassen“, weil sie dann über ihr eigenes amtspflichtwidriges Fehlverhalten (Hinweisbeschluss vom 10. März 2022) hätte urteilen müssen.
Da der Fall wahrlich außergewöhnlich ist, werde ich Ihnen so bald wie möglich eine inhaltliche Stellungnahme zukommen lassen.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Mitarbeitern schöne Weihnachten und viel Gesundheit, Glück und Erfolg für das Jahr 2023!"
Das wünschen wir all unseren Leserinnen und Lesern gleichermaßen!

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